Die Welt der Religionen, Mai-Juni 2006 —

Nach dem Roman der Film. Der französische Kinostart von „Sakrileg“ am 17. Mai dürfte die Spekulationen über die Gründe für den weltweiten Erfolg von Dan Browns Roman neu entfachen. Die Frage ist interessant, vielleicht sogar interessanter als der Roman selbst. Denn Fans historischer Thriller – und ich gehöre dazu – sind sich ziemlich einig: „Sakrileg“ ist kein großer Erfolg. Der Roman ist wie ein Pageturner aufgebaut und fesselt einen von den ersten Seiten an, und die ersten zwei Drittel des Buches verschlingt man mit Vergnügen, trotz des hastigen Stils und der mangelnden Glaubwürdigkeit und psychologischen Tiefe der Charaktere. Dann verliert die Handlung an Schwung, bevor sie in ein „Abrakadabra“-Ende mündet. Die über 40 Millionen verkauften Exemplare und die unglaubliche Leidenschaft, die dieses Buch bei vielen seiner Leser auslöst, sind daher eher soziologischer als literarischer Natur.
Ich dachte immer, der Schlüssel zu diesem Hype liege im kurzen Vorwort des amerikanischen Schriftstellers. Darin stellt er klar, dass sein Roman auf wahren Begebenheiten beruht, darunter der Existenz des Opus Dei (das jeder kennt) und der berühmten Prieuré de Sion, jener Geheimgesellschaft, die angeblich 1099 in Jerusalem gegründet wurde und deren Großmeister Leonardo da Vinci gewesen sein soll. Besser noch: In der Nationalbibliothek hinterlegte „Pergamente“ sollen die Existenz dieser berühmten Prieuré beweisen. Die gesamte Handlung des Romans dreht sich um diese okkulte Bruderschaft, die ein brisantes Geheimnis bewahrt haben soll, das die Kirche seit jeher zu verbergen versucht hat: die Hochzeit von Jesus und Maria Magdalena und die zentrale Rolle der Frau in der frühen Kirche.

Diese These ist nichts Neues. Doch Dan Brown hat es geschafft, sie aus feministischen und esoterischen Kreisen herauszuholen und sie der breiten Öffentlichkeit in Form eines Mystery-Thrillers anzubieten, der angeblich auf fast allen unbekannten historischen Fakten beruht. Das Verfahren ist geschickt, aber irreführend. Die Prieuré de Sion wurde 1956 von Pierre Plantard gegründet, einem antisemitischen Mythomane, der sich für einen Nachkommen der merowingischen Könige hielt. Und was die berühmten „Pergamente“ betrifft, die in der Nationalbibliothek hinterlegt sind, so handelt es sich in Wirklichkeit um vulgäre, maschinengeschriebene Blätter, die Ende der 1960er Jahre von eben dieser Figur und ihren Gefolgsleuten verfasst wurden. Fakt ist, dass „Sakrileg“ für Millionen von Lesern und vielleicht bald auch Zuschauern eine wahre Offenbarung darstellt: die zentrale Rolle der Frauen im frühen Christentum und die Verschwörung der Kirche im 4. Jahrhundert, um die Macht wieder den Männern zu geben. Verschwörungstheorien, so abscheulich sie auch sein mögen – man denke nur an die berühmten Protokolle der Weisen von Zion –, finden leider immer noch Anklang in den Köpfen einer Öffentlichkeit, die offiziellen Institutionen, religiösen wie akademischen, zunehmend misstrauisch gegenübersteht.
Doch so falsch sie in ihrer historischen Begründung und fragwürdig in ihrer konspirativen Verpackung auch sein mag, die These vom Machismo der Kirche ist umso verführerischer, als sie auch auf einer unbestreitbaren Beobachtung beruht: In der katholischen Institution haben nur Männer Macht, und seit Paulus und Augustinus wird Sexualität abgewertet. Es ist daher verständlich, dass sich viele Christen, meist religiös entsozialisiert, von Dan Browns ikonoklastischer These verführen ließen und sich auf die neue Suche nach dem Gral der Neuzeit begeben: der Wiederentdeckung Maria Magdalenas und des rechtmäßigen Platzes von Sexualität und Weiblichkeit in der christlichen Religion. Ist es nicht, wenn man den Brownschen Unsinn einmal beiseite lässt, eine schöne Suche?

Die Welt der Religionen, Mai-Juni 2006.